Kulturgeschichtliche Texte von Elke Strauchenbruch
Die Pest
Von Elke Strauchenbruch
Wittenberg wurde 1527 wieder einmal von einer Pestwelle ergriffen. Es ging in den Vorstädten los.
Kurfürst Johann ließ die Universität nach Jena evakuieren. Melanchthon verließ mit den meisten Professoren, Studenten und seiner Familie die Stadt. Wer konnte, zog sich in sein Gartenhaus zurück. Am 19. August stand Luther am Grabe der Ehefrau von Bürgermeister Thilo Dehne. Er selbst war krank, seine Frau Katharina schwanger. Doch sie nahmen nun den Stadtkirchenpfarrer Dr. Johann Bugenhagen, dessen hochschwangere Frau Walpurga und viele andere in ihr Haus auf, denn man meinte, das alte Kloster würde sie schützen. Hanna Rörer, Ehefrau des Diakons Georg Rörer, starb im Lutherhaus und brachte den Reformator mit ihrem Pesttod fast zur Verzweiflung, denn sie starb mit ihrem Kind während der Geburt.
Der Gallimarkt musste abgesagt werden. Brauer wurden ihr Bier nicht mehr los, Gasthöfe und Studentenbuden waren verwaist. Am 15. September brannte dann auch noch Christoph Krappes Haus, was viele zusätzlich erschreckte.
„Ich elender Narr bin mitten unter denen, die täglich zum Tode gehen“, schrieb Luther und er fühle jetzt mit der legendären Königstochter, die anderen Jungfrauen ersparen wollte, dass das Los auf sie falle und sie dem Lindwurm geopfert würden.
Buchdrucker Hans Lufft überlebte die Krankheit, doch viele andere starben, darunter Rhau-Grunenbergs Tochter und eine ehemalige Magd Melanchthons.
Vom Friedhof wurde berichtet: Der „Totengräber hat die alte Schliebnerin mit einem Stecken oder einer Krücke geschlagen, dass sie ins Grab gefallen“ und man beerdigte schon mehrere Tote in einem Grab, „dass es zum Erbarmen gewesen“.
Genau in diesem Moment predigte Luther in der Stadtkirche den mit ihm angesichts der sie bedrohenden Seuche zitternden Wittenbergern „Wie man sich der Seelen halben schicken und halten soll in solchen Sterbensläuften“ und forderte sie auf, Hilfe zu leisten. Die Lehrer und Prediger sollen in Pestzeiten nicht fliehen, sondern bei den Menschen bleiben. Bei der Stadt Angestellte, „wie ein Stadtarzt, Stadtdiener, Söldner und wie die mögen genannt werden, die mögen nicht fliehen“, sondern den Bürgern dienen.
Gleichzeitig warnte er vor Leichtsinn, „die Gott versuchen und alles anstehen lassen, womit sie dem Sterben oder der Pestilentz wehren sollten, die verachten, Arznei zu nehmen und Stätten und Personen nicht meiden, so die Pest gehabt und aufgekommen, sondern zechen und spielen“ und wandte sich gegen Leute, die „so beschränkt, daß sie die Arznei verachten und ohne Ursache sterben“. Besonders verurteilte er Kranke, die aus Aberglauben meinten, „wo sie andere Leute könnten damit beschmeißen und vergiften, so werden sie dieselbe los und gesund.“
Er riet: „Brauche der Arznei, nimm zu dir, was dir helfen kann, räuchere Haus, Hof und Gassen, meide auch Personen und Stätten, so man deiner nicht bedarf“, bete und verzweifle nicht! Damals wie heute hatte man in Seuchenzügen keine besseren Mittel als Abstand zu halten, Hygieneregeln zu beachten, die Luft sauber zu halten (zu lüften).
Luther bereitete den Druck seiner Schrift „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“ vor, zog das kleine Häuflein der verbliebenen Studenten und Freunde an sich und hielt ihnen an seinen üblichen Vorlesungstagen Montag, Dienstag und Mittwoch bis November eine Vorlesung, die ihn und sie in den Alltag zurückführen sollte.
Weihnachten im Lutherhaus
Von Elke Strauchenbruch
Die Zeit Luthers war eine große Zeit des geistlichen Aufbruchs und Umbruchs. Der sich wandelnde christliche Glaube in seiner äußerlichen Form mit Gottesdiensten, kirchlichen und häuslichen Feierlichkeiten musste neu überdacht und geordnet werden. So begann auch Weihnachten eine neue Form anzunehmen. Bei den Luthers in Wittenberg wurden so manche Traditionen über Bord geworfen, andere behalten und neue zogen ein.
Das Augustinereremitenkloster im Osten der Stadt Wittenberg vereinsamte seit 1520 immer mehr. Die Reformation hatte das Kloster leergefegt und so lebte seit 1524 Martin Luther alleine im Klostergebäude. Ende des Jahres schenkte ihm Kurfürst Friedrich der Weise das leer stehende Klostergebäude. Luther hat sich nie als Eigentümer des Gebäudes gefühlt, denn der Kurfürst hatte sich ein Rückkaufsrecht vorbehalten. Dennoch wurde es vor allem nach Luthers Eheschließung mit der entlaufenen Nonne Katharina von Bora im Juni 1525 das Lutherhaus, in dem auch die Kinder des Paares, Johannes (Hänschen), Magdalena, Martin, Paul und Margarete, geboren wurden und aufwuchsen.
Nach seiner Eheschließung veränderte sich das Leben des Paares völlig. Beide tauschten das schon längst nicht mehr klösterliche Leben gegen das eines Ehepaares ein. Das zur Hochzeit innen frisch geweißte große Haus des Augustinereremitenkloster wurde nun zum Mittelpunkt des Lutherschen Familienlebens. Sie nahmen viele Gäste auf. Freunde und Studenten lebten bei ihnen. Viele Kinder aus den Familien der Luthers und Boras wurden hier großgezogen, ausgebildet und sogar verheiratet.
Fastenzeit und Weihnachtsessen
Wie sollte man mit dieser bunten Gemeinschaft Weihnachten feiern? Noch war das 40tägige Adventsfasten üblich, es gehörte einfach zum weihnachtlichen Festzyklus, der vom Martinstag am 11. November bis zum Dreikönigstag (6. Januar) oder gar bis Mariae Lichtmeß (2. Februar) reichte. Die Fastenzeit begann am 12. November und endete am 25. Dezember. Fasten bedeutete den völligen Verzicht auf Fleisch, Speck, Schmalz und Butter. Alles, was aus dem Wasser kommt, Milchprodukte und Eier durften gegessen werden. Dennoch wurde vor dem Fest auch im Lutherhause ordentlich gebraut, geschlachtet, geräuchert, gekocht und gebacken. Man meinte, alles was jetzt gebacken werde, verderbe vor Pfingsten nicht und man wollte das Ende der Fastenzeit und die Geburt Christi feiern.
Die Luthers hatten Gärten, Felder und einen Fischteich erworben. Sie hielten auf dem Grundstück ihres Hauses Kühe, Schweine, Hühner und waren damit recht unabhängig von den steigenden Marktpreisen für Lebensmittel, die sie in ihrem Haushalt in großen Mengen verbrauchten. Am 24. Dezember, dem Weihnachtsabend, war noch immer Fastenzeit. Man aß tagsüber relativ wenig und freute sich umso mehr auf das bevorstehende Festessen aus Anlass der Geburt Christi. Man ahnt, wie besonders gut in diesen Tagen die vielen Gewürze, der Kuchen und der Braten aus der Küche dufteten. In Deutschland aß man zu Weihnachten und während der folgenden „Rauhen Nächte“ (24. Dezember bis 5. Januar) gerne Schweinefleisch, Brot und Kuchen, Brei (Grütze), Erbsen, Bohnen, Fischrogen und Gerichte aus Mohnkörnern, die als Symbole der Fruchtbarkeit für das kommende Jahr galten. Bei den Luthers hat man die Zutaten zu einem typischen Weihnachtsessen nachgewiesen: Leberwurst auf Weinkraut, Rindfleisch in Würzbrühe, Weinsuppe in besonders geformten Mörserkuchen, Mönch und Gugelhupf, falscher Rehbraten und Karpfenhohlbraten mit schwarzer Pfeffersoße.
Einfühlsame Weihnachtspredigten
Luther liebte seine Predigttätigkeit und predigte offenbar zu Weihnachten besonders gern und häufig. Seit 1514 sind die Weihnachtspredigten Martin Luthers erhalten. Neben seinen vielen anderen Aufgaben zum Beispiel als Universitätsprofessor war ihm seine Tätigkeit für die Wittenberger Gemeinde Herzenssache. Hier konnte er überlegen: Wie hart muss der Weg für die Hochschwangere nach Bethlehem gewesen sein! Warum hat niemand der gebärenden Maria beigestanden? Weil sie arm war? Womit hat sie das Kind gewickelt? Warum waren es ausgerechnet arme Hirten, die als Erste von den Engeln von der Geburt des Heilands erfuhren? Luthers Weihnachtspredigten sind so einfühlsam, dass sie noch heute die Herzen ihrer Leser ansprechen und fordern zu tätiger Hilfe auf: Gott liebt … Wiederum unser Nächster glaubt und wartet auf unsere Liebe, so sollen wir ihn auch lieben und nicht umsonst unser begehren und warten lassen. Eins ist wie das andre: Christus hilft uns, wir helfen unseren Nächsten und alle haben genug. (Weihnachtspredigt 1520)
Luther und seine Frau Katharina waren dafür bekannt, dass sie niemanden abwiesen, der in seiner Not an die Türe klopfte und doch stöhnte Luther mitunter unter der finanziellen Last und bat den Kurfürsten oder den Rat der Stadt um Hilfe, wenn er nicht mehr helfen konnte.
Das Christkind – der neue Gabenbringer
Seit dem Mittelalter war es üblich, Geschenke zu Nikolaus, zu Weihnachten oder zu Neujahr zu überreichen, dabei wurden die Geschenke von allerlei Heiligen übergeben. Luther überdachte diese Praxis, die sich auch in seinen Hausrechnungen findet, und kam irgendwann zum Schluss, wenn man die Weihnachtsgeschichte in den Mittelpunkt des Festes bringen und die Freude der Kinder über die Geburt Jesu vergrößern will, kann das durch Geschenke geschehen. Doch sollten diese nicht von irgendeinem Heiligen übergeben werden, an gutes Verhalten oder etwa das Aufsagen eines Gedichtes gebunden sein, sondern es solle für die Kinder aussehen, als kämen die Geschenke vom Christkind. Dabei fand der Reformator die Version sehr schön, dass der Nikolaus – der Weihnachtsmann war noch unbekannt – über die Dächer reitet und durch die Kamine Gaben in die bereitgelegten Mäntel wirft oder heimlich eintritt und beschert.
Luther und Katharina haben in ihren Klöstern die im Mittelalter übliche Verehrung des Christkindes erlebt, die weitgehend auf den Hl. Franziskus zurückgeht, der seiner Gemeinde eine Hütte errichten ließ, in der sich die Wiege mit dem Kind, Ochs und Esel und natürlich das Elternpaar befanden. Diese Verbildlichung des Weihnachtsgeschehens fand in ganz Europa große Verbreitung. Selbst in der Reliquiensammlung der Wittenberger Schloßkirche befand sich eine silberne Statue des Christkindes, die in der Weihnachtszeit aufgestellt werden konnte. In Frauenklöstern war das „Kindelwiegen“ weit verbreitet. Dabei wuschen, kleideten und wiegten die Nonnen ein Christkindel als wäre es ein wirkliches Kind.
Krippenspiel bei den Luthers
Luther hat nun gewiss auch ausprobiert, welche Form der Feier den geistlichen Inhalt des Festes am besten und eindrucksvollsten vermittelt. So hat Luther für seine Kinder das Krippenspiel aus der Kirche in sein Haus geholt. Man darf sich das Weihnachtsspiel der Kinder im Lutherhause also in der Dramaturgie des Weihnachtsliedes so vorstellen:
Der Engel erscheint und verkündet:
Vom Himmel hoch
da komm ich her
und bring euch gute, neue Mär,
der guten Mär bring ich so viel,
davon ich singen und sagen will.
Der Engel erzählt, dass ein „Kindelein so zart und fein“ geboren sei, der Herr Christ unser Gott. Die Kinder lauschen der Botschaft. Dann ziehen sie, die älteren wohl als Hirten verkleidet, mit dem Gesang „Des lasst uns alle fröhlich sein“ zur Krippe, die hinter einem Vorhang steht. Der Vorhang öffnet sich. Die Kinder knien vor der Krippe und falten die Hände, um das liebe Jesulein anzubeten. Dann erheben sich die Kinder, reichen einander die Hände und tanzen singend um die Krippe herum.
Davon ich allzeit fröhlich sei,
zu springen, singen immer frei das Susannine schön,
mit Herzenslust den süßen Ton:
Lob, Ehr sei Gott im höchsten Thron,
der uns schenkt seinen ein`gen Sohn.
Des freuen sich der Engel Schar
und singen uns solch neues Jahr.