Die andere Seite der Geschichte - Frauen in Sachsen und Anhalt 8 - Goitel Moses auf den Namen Johanna Christiana Frommin getaufte Jüdin
Goitel Moses – auf den Namen Johanna Christiana Frommin in Wittenberg getaufte Jüdin
Von Elke Strauchenbruch
Nachdem man ihn wegen Diebstahls drei Tage lang gefoltert hatte, starb der getaufte Jude Fellmann am 10. August 1723 unter der Tortur im Marktmeistergefängnis im Alten Rathaus. Der Umgang mit Juden und getauften Juden gehört sicherlich zu den schwärzesten Flecken der europäischen Geschichte.
Dabei sollte es eigentlich ganz anders sein: 1145/46 veröffentlichte Papst Eugen III. die Bulle Sicut Judaeis, in der er die Christen zum Schutz der Juden aufforderte. Eugen III. verbot unter Androhung von Exkommunikation Zwangstaufen von Juden. Er untersagte, ihre Feiern zu stören oder ihre Friedhöfe zu schänden. Ähnliche Bullen veröffentlichten auch andere Päpste des Mittelalters.[1] 1283 waren unter den verfolgten Juden in Rockenhausen auch einige Frauen, die offenbar gezwungen wurden, dem christlichen Gottesdienste beizuwohnen, die aber nicht verdächtigt werden konnten, ihren Übertritt (Judentaufen) erklärt oder die eheliche Treue gebrochen zu haben. Darum erlaubte Rabbi Meir ben Baruch von Rothenburg ihnen später ohne weiteres zu ihren Ehemännern zurückzukehren.[2]
Martin Luther behandelte 1530 in einem Brief an einen evangelischen Pastor die liturgische Gestaltung von Judentaufen und wies ihn an , bei der Taufe eines jüdischen Mädchens streng darauf zu achten, dass es den christlichen Glauben nicht etwa vortäusche, wie dies bei Juden zu erwarten sei.[3]
In Kursachsen, Brandenburg und vielen anderen Ländern war den Juden das Betreten des Landes nur mit besonderer Genehmigung und unter Zahlung großer Geldsummen gestattet. Immer wieder wiederholte man das Verbot der öffentlichen Religionsausübung. Dennoch hört man hin und wieder von Juden oder getauften Juden im Lande.
Der 1635 geborene Begründer des Pietismus Jacob Spener kämpfte nach dem Dreißigjährigen Krieg nicht nur um eine Erneuerung der protestantischen Kirche, sondern auch um ein neues Verhältnis zum Judentum. Schon in seiner Programmschrift Pia Desideria (Herzliches Verlangen) erwartete er 1675 von seiner Hoffnung besserer Zeiten der Kirche und damit verbunden die Bekehrung der Juden. Er begründete seine Ideen mit der Bibelstelle „Röm 11,25, wo von der Rettung ganz Israels die Rede ist. Als er Widerspruch erntete, sammelte er Zitate von Kirchenvätern und anderen anerkannten Theologen früherer Zeiten, die eine endzeitliche Judenbekehrung gelehrt hatten, und fügte sie seit 1678 als Belegsammlung in einem Anhang seiner Pia Desideria bei. Weil die Erwählung trotz der Verwerfung Jesu weiter Bestand habe, sah Spener in den Juden das vornehmste Geschlecht in der ganzen Welt aus dem gesegneten Samen der heiligen Väter[4]. Wie der junge Luther folgerte er, dass Christen mit den Juden freundlich umgehen sollen und sie nicht beschimpfen, verächtlich machen und verfolgen dürften. Um des Juden Jesus Christus willen solle man sie lieben. Dabei berief sich Spener besonders auf Gedanken des jungen Reformators Martin Luther und kritisierte dessen späten Judenschriften. Nachdem er anfänglich Zwangspredigten befürwortet hatte, lehnte er später jeden Zwang in Zusammenhang mit Bekehrungsbemühungen entschieden ab und hielt die von ihm ausgebildeten Pastoren zu tätiger Liebe für die Juden an; sein Ziel blieb immer deren Bekehrung. Die Erwartung einer kommenden Judenbekehrung wurde im 18. Jh. theologisches Allgemeingut und förderte das Interesse am jüdischen Volk und einen wohlwollenden Umgang mit ihm.[5] Der sich mit der Aufklärung verbreitende Deismus versuchte, sowohl das Juden- als auch das Christentum durch eine allgemeine, konfessionslose Vernunftreligion abzulösen. Das Interesse richtete sich aber immer stärker auf die Emanzipation des Judentums und die gesetzliche Gleichberechtigung aller männlichen Staatsbürger. Da spielte zwischen 1760 und 1785 eine wachsende Flut von Konvertitenautobiografien und -romanen eine geringe Rolle, zumal sie meist von in der Kindheit zum Christentum übergetretene Juden geschrieben worden sind und natürlich im Judentum abgelehnt wurden.[6]
In Kursachsen erhielten Juden 1772 mit einem „Dauerduldungsschein“ von Kurfürst Friedrich August von Sachsen einen neuen Status. Damit konnten erstmals Juden an den Universitäten studieren, auch im lutherisch orthodoxen Wittenberg. 1779 veröffentlichte der ehemalige Wittenberger Student Gotthold Ephraim Lessing sein Drama „Nathan der Weise“. Es wurde am 14. April 1783 in Berlin erstmals aufgeführt. Auch Lessing ging es wie vielen anderen Aufklärern um die Emanzipation des Judentums und deren gesetzliche Gleichberechtigung.
Idee und Wirklichkeit gingen auch damals weit auseinander. Innungen verlangten immer noch die eheliche, christliche Geburt ihrer Mitglieder. Unehelich Geborene und Juden konnten weiterhin keine Handwerksberufe erlernen. Geistliche widmeten sich weiterhin der Judenmission und sahen in der Taufe eines Juden den schönsten Erfolg ihrer Bemühungen.
Im Taufbuch der Stadtkirche findet sich zum Beispiel unter dem 4. September 1780 eine Eintragung über die Taufe der Jüdin Goitel Moses aus Groß-Glogau in Niederschlesien auf den Namen Johanna Christiana Fromm.[7] Die Eintragung schildert auf zwei Folioseiten ausführlich den Ablauf einer Judentaufe in Wittenberg: Die 19-jährige sei seit etwas mehr als einem Jahr in der Stadt und sei in letzter Zeit zuerst von dem Jungfern-Schulmeister Herrn Merlitz im Lesen der deutschen Schrift und den Anfangsgründen des Christentums und dann von Magister Lippold täglich unterrichtet und auf die heilige Taufe vorbereitet worden.
Der Rat der Stadt hatte der Frommin zu ihrer Taufe ein modisches Leinenkleid geschenkt. Dazu trug sie eine moderne Frisur. Im Taufbuch werden alle Zeugen ihrer Taufe namentlich und, in der damaligen Ständegesellschaft von höchster Wichtigkeit, rangmäßig aufgelistet. Generalsuperintendent Johann Friedrich Hirt führte die junge Frau in die Kirche. Laut Landesordnung waren zur Meidung von besonderem Prunk bei Taufen nur drei Paten zugelassen. In diesem als besonders angesehenen Fall fungierten aber gleich neun (!) Vertreter und Vertreterinnen der höchsten Kreise Wittenbergs als Paten, darunter der Universitätsrektor Professor Boden, die Ehefrau des Amtmannes Dietrich, die Ehefrau des Bürgermeisters Dr. Bauer, der Bürgermeister Uhlich und so weiter. Die Ehre ihrer Anwesenheit gaben zudem die höchsten Geistlichen der Stadt. Ausdrücklich wird vermerkt, dass ein volkreiches Publikum die Taufe verfolgte.
„Sie legte ihr Glaubensbekenntnis ab, versprach darauf zu leben und zu sterben und sich der christlichen Lehre … gemäß zu halten, entsagte allem jüdischen Aberglauben…“ Am Ende betete die Getaufte das Vaterunser und erhielt den Segen.
[1] Pius MAURER, Eugen III., in: Biographia Cisterciensis (Cistercian Biography), Version vom 22.8.2015, URL: http://www.zisterzienserlexikon.de/wiki/Eugen_III.
[2] Abraham BERLINER, Aus dem Leben der Juden Deutschlands im Mittelalter. In neuer Fassung herausgegeben von Ismar Elbogen. Berlin: Im Schocken Verlag 1937, S. 18
[3] WA BRIEFE 5, S. 451f. Nr. 1632
[4] Johannes GRAF: Judentaufen in der Literatur der Spätaufklärung. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. (IASL), Vol. 22,1, Walter de Gruyter, 1997
[5] Christoph RYMATZKI: Hallischer Pietismus und Judenmission: Johann Heinrich Callenbergs Institutum Judaicum und dessen Freundeskreis (1728–1736). Max Niemeyer, 2004; Johannes GRAF: Judentaufen in der Literatur der Spätaufklärung, a.o.a.O.
[6] REAL-ENZYKLOPÄDIE, Band 17, 1988, S. 328f.
[7] TAUFF-BUCH der Stadt- und Pfarr-Kirch. Zu Wittenberg. Angefangen unter dem Vicariat Herrn M. Johann Christoph Erdmann Archi-Diaconi, von Johann Christian Kettnerr, Bischofswerd. Misnie. Custode et Registratore bey dieser Kirche An. Christi 1775, S. 398f.
Bild zur Meldung: Taufbecken der Wittenberger Stadtkirche, in dem seit dem 15. Jahrhundert auch die Kinder der Reformatorin und Goitel Moses getauft wurden.