Die andere Seite der Geschichte - Frauen in Sachsen und Anhalt 4 Elisabeth Mülich
Elisabeth Mühlich, * Fluth - unziemliche Pracht einer jungen Apothekerstochter
Als Elisabeth Mülichs Vater, der Apotheker Caspar Fluth, am 23. August 1620 starb, war sie 17 Jahre alt, seit zwei Jahren mit dem Apothekenprovisor Caspar Mülich verheiratet und Mutter einer Tochter. Sie stammte aus den vornehmsten Wittenberger Familien: Ihre Mutter Katharina war eine Tochter des berühmten Verlegers, Buchhändlers und Bürgermeisters Samuel Selfisch.[1] Ihr Vater war der Schwiegersohn von Anna Pfreundt, der jüngsten Tochter des Hofmalers Lukas Cranach und Patenkind Martin Luthers. Anna hatte ihrem Mann, dem Apotheker Kaspar Pfreundt, die Cranachapotheke mit in die Ehe gebracht. Über Erbschaften blieb die Apotheke über sieben Generationen hinweg im Besitz von Nachkommen des berühmten Malers Lucas Cranach.[2]
Am Schicksal Elisabeth Mülichs und zuvor ihrer Großmutter Anna Pfreundt wird deutlich, dass Frauen zwar vererben, aber nicht selbständig ihre ererbte Firma leiten durften. Wollten sie die Firma weiterführen mussten sie einen geprüften Meister, in diesem Fall einen von der Wittenberger Universität geprüften Apotheker, heiraten. Ehen wurden nicht aus Liebe geschlossen, sondern waren wirtschaftliche Zweckgemeinschaften, die Liebe und Zuneigung zwischen den Partnern waren ebenso wenig ausschlossen, wie eine eventuelle Mitarbeit der Ehefrau. In unserem Fall ist jedoch die Mitarbeit der Frau in der Apotheke nicht nachweisbar, aber eben auch nicht ausgeschlossen.
Elisabeths Eheschließung am 1. September 1618 hatte ihrem Mann, dem in Pirna geborenen Provisor (Verwalter) Caspar Mülich, den Zugang zum Besitz der Wittenberger Cranach-Apotheke samt notwendigem staatlichem Privileg eröffnet. Am Ende regelten die Landesherrn die Standorte der Apotheken und ließen sich die Privilegien bei Besitzerwechseln gut bezahlen. Aber es ging dann natürlich auch um pharmazeutisches und wirtschaftliches Wissen und Können des privilegierten Inhabers.
Elisabeths Vater Caspar Fluth ist bis zu seinem Tod, wie so viele männliche Mitglieder der Familie, Ratsmitglied in Wittenberg gewesen. Die 1603 geborene Elisabeth hatte schon in ihrer Kindheit sehr schwere Zeiten erleben müssen. Damals hatte sich das Klima verschlechtert, es war viel kälter als noch zur Lutherzeit. Immer wieder durchzogen Seuchen, auch die Pest, das Land. Die Medizinische Universität kämpfte um eine unter ihrer Aufsicht stehende verbesserte medizinische Versorgung der Bevölkerung. Der Medizinprofessor Daniel Sennert förderte die Einführung der von Paracelsus inspirierten Chemiatrie in die Pharmamazie. Dazu gehörten aber Prüfungen von Apothekern und Apothekenprovisoren, Visitationen der Apotheken, Preistaxen für Apotheken. 1611, Elisabeth war kaum sechs Jahre alt, erschien die „Taxa, oder Wirderung aller Materialien, so in der Apotheken zu Wittenberg verkaufft werden, auff einen billichen Anschlag gemacht, vnnd auffs new vbersehen. Durch das Collegium Medicum daselbst, Anno 1611, Wittemberg, Gedruckt bey Lorenz Seuberlich, In verlegung Paul Helwig Buchführers“[3] mit Prüfung des Medikamentenbestandes, der Qualität und Verkaufspreise. Arzneimittel stellte man aus verschiedenen Stoffen her: aus mineralischen, pflanzlichen und tierischen Stoffen, die teilweise schwer zu beschaffen und auch teuer waren. Die nicht nur kulturhistorisch interessante Liste führt zahlreiche Stoffe und ihre Preise auf, darunter befinden sich beispielsweise gepulverte Mumie und Krebsaugen. Ein Quintlein Orientischer Amethyst kostete 3 Groschen, ein Quintlein geriebene Perlen 8 Groschen und ein Loth Sauerampffer-Wurtzel 4 Pfennige. Derartige Taxen erschienen in Wittenberg 1607, 1611, 1625, 1632[4] und weiter nach dem Tod der Elisabeth. Im Besitz des Lutherhauses befindet sich eine Urkunde, in der Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen das Wittenberger Apothekenprivileg an Caspar Mülich und seine Nachkommen.[5] Offenbar hatte Elisabeths Vater damals Mülich als Provisor angestellt und damit die Weichen für das Leben seiner Tochter. Trotz dieser Anstellung scheint die Medizinische Fakultät unzufrieden gewesen zu sein. 1614 erlebt die nun 10-jährige Apothekerstochter, die Unterstellung des Vaters unter die noch stärkere Aufsicht der Herren Professoren und deren Klage über einen fehlenden Hortus Medicus[6], ein Kräutergarten, zur Ausbildung von Medizinstudenten. Heilpflanzen und die Kräutermedizin waren trotz der beginnenden Chemiatrie und der noch herrschenden Dreckmedizin des ausgehenden 16. Jahrhunderts das A und O der Medizin. Angesichts einer grassierenden Fieberepidemie in der Stadt drängte die Universität Ende 1616 sogar auf die Einrichtung einer zweiten Apotheke in Wittenberg.[7] 1618 erhielten die auch als Wundärzte arbeitenden Bader Wittenbergs eine neue Zunftordnung, in der u.a. die Prüfung der Meister durch Medizinprofessoren der Universität vorgesehen waren. Diese Bader und Wundärzte durften u.a. Salben und Wundpflaster selber herstellen und anlegen und machten dem Apotheker natürlich Konkurrenz.[8]
Am 27. Juni 1618, also noch zu Lebzeiten ihres Vaters leistete erstmals ein Apotheker vor dem Rat der Stadt einen Apothekereid. Der Provisor Caspar Mülich hob die Hand und sagte: "Ich schwere, daß ich die Apothecken alhier Treulich und vleißigk versorgen, jederzeit gute tüchtige Materialien zue der Artzney gebrauchen, die Leute in taxe nicht ubersetzten, und selbsten daran sein will, daß die Medicamenta den Rezepten nach, gebührlich zugerichtet, unnd die Ingredentia alle auch eines vor das andere nicht gebraucht oder gegeben werden, sowohl diejenigen, so in der Apotheke entbeder gar nicht oder doch nicht tüchtig vorhanden sind, denn welche etwas aus der Apotheke verschreibet, getreulich und ohne Verzog anzeiget; die verdorbenen oder untauglichen Materialien von Stund an weg thun und keine gefälschte Waare gestatten; Alß wahr mir Gott helfe, durch sein heiliges Wort."[9]
Gut zwei Monate später, am 1. September 1618, reichte Caspar Mülich der nun 15-jährigen Tochter Elisabeth seines Dienstherrn Caspar Fluth die Hand zur Ehe. Der Apotheker dürfte da schon krank gewesen sein. Er starb zwei Jahre später und hinterließ Tochter und Schwiegersohn Schulden.
Die mit der Visitation der Apotheke betrauten Wittenberger Medizinprofessoren, schrieben diese Schulden nicht nur seiner „vertuhlichen übele Haußhaltung sondern auch deßen Eheweib durch der Tochter übermäßigen unzimbliche Pracht“ zu. Das „Eheweib“ war Katharina Fluth, die mit dem Apotheker verheiratete Tochter des reich gewordenen, 1615 verstorbenen Buchhändlers und Bürgermeisters Samuel Selfisch. Die „übermäßige unzimbliche Pracht“ betreibende Tochter Fluths kann nur unsere Elisabeth gewesen sein.
1623 beklagten die Professoren, "daß es in der apotheck sehr unrichtig hergehet, dieselbe gar zu hoch verpachtet, der provisor Caspar Mülich ein sehr eigennutziger und widerspenstiger mann, welcher keine inspection und taxam dulden wollen, dargegen die arznei uf ungeschickter personen recept heimlich zurichten lassen". Man schlägt vor: "wegen des großen ubersatzes und anderer bei der apotecken eingebrachte beschwerungen könten der commissarien ermessen nach 1000gl.straf proportionabiliter von dem provisore Caspar Mülichen und den locatorn der apotecken eingebracht" werden und "es sollte auch die apoteck von der universitet und rat mit zuziehunge der doctorum medicinae alsbalden inventirt, die vertorbene species abgeschafft und tüchtige erzeuget, das pachtgeld nach des corporis billichen werth moderiret, die visitationes zu bestimbter Zeit furohin gehalten, alle märkte currentzettel ubergeben und darauf eine ertregliche taxa angeordnet, auch alle unrichtigkeit volnstreckt oder hievon jedesmal bericht nach hofe uberschickt werden."[10]
Bei einer Apothekenvisitationen wurde 1624[11] von den Medizinprofessoren festgestellt, „daß der Apotheker in praeparierung oder taxierung der medicamenten in seinem offizio nicht ein genügen gethan“. Sie forderten den Wittenberger Rat auf, Kaspar Mülich dafür zu bestrafen, was aber unterblieb.
Die visitierenden Medizinprofessoren wurden von Mühlich nicht mehr respektiert. Am 4. März 1624 schrieb er an Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen und verlangte eine Untersuchung seiner angeblichen Verfehlungen, die man Ende des Jahres 1623 festgestellt hatte.
Der Kurfürst forderte darauf von der Universität und dem Hofrichter, Mülich nochmals anzuhören. Die Apothekerfamilie geriet damals in Bedrängnis, wie der Leiter der Städtischen Sammlungen Wittenberg, Andreas Wurda, im Ratsarchiv herausfand: Mit dem aus Schlesien stammenden Georg Daniel Koschwitz erwarb 1624 ein weiterer Apotheker das Bürgerrecht und ist 1625 als Pächter der Apotheke nachweisbar.
Womöglich hatte Koschwitz Mülich zwischenzeitlich als Provisor eingestellt. Jedenfalls bezahlte der Rat im Februar 1627 Koschwitz und nicht Mühlich für ein Medikament. Apotheker Koschwitz erlag aber am 27. Mai 1628 einem Schlaganfall[12] und die Apotheke kam nun bis zu seinem Tod wieder in Mülichs Hände.
Im Mai 1625 hatte seine Frau Elisabeth ihren Sohn Johann Caspar zur Welt gebracht und das Kind bald darauf verloren. Im Frühjahr 1626 brachten Truppendurchzüge die Pest nach Wittenberg. Es ist die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, der auch Wittenberg jahrzehntelang unvorstellbares Leid brachte.
Elisabeths 50-jährige Mutter Katharina Fluth, * Selfisch, starb am 18. September 1626, ihr nur 47-jähriger Ehemann Caspar am 28. Juli 1630. Die Erbregulierung wurde nach seinem Tod erneut schwierig. Beschwerden und Eingaben füllen eine ganze Akte. 1625, ein Jahr nach der beschriebenen Apothekenvisitation, und 1631, ein Jahr nach dem Tod von Elisabeths Gatten Caspar Mühlich, wurden neue Apothekentaxen aufgestellt, um so Preistreibereien der Apotheker zu unterbinden.[13]
Mühlichs Witwe Elisabeth war 1634 gut dreißig Jahre alt und heiratete den Apothekergesellen Wenzeslaus Lutwein. Erneut galt es, die Apotheke und das Privileg zu ihrem Betrieb in der Familie zu halten. Sie war aber keine Alleinerbin und man setzte Johannes Arnurius als Provisor ein, der am 29. Oktober 1639 Elisabeths Tochter Anna Appolonia heiratete und mit ihr die Wittenberger Bürger-Dynastie der Arnurie begründete.
[1] Hans Leonhard, Samuel Selfisch, ein deutscher Buchhändler am Ausgange des XVI. Jahrhunderts. Inaugural-Dissertation, Leipzig, Verlag Jäh & Schunke, 1902, S. 9, 129 Stammtafel Nr. II9, Kinder Nr. II9III1-6
[2] Wolfgang Böhmer und Andreas Wurda (Hrsg.), Das heilkundige Wittenberg. Zur Geschichte des Wittenberger Gesundheits- und Sozialwesens von der Stadtfrühzeit bis zur Neuzeit. Veröffentlichungen der Städtischen Sammlungen der Lutherstadt Wittenberg, Band 15, 2009, S. 88 (Böhmer)
[3] Das in der Ratsbibliothek befindliche Exemplar ist derzeit in der neuen Dauerausstellung des Stadtgeschichtlichen Museum im Marstall zu sehen.
[4] Wolfgang Schneider, Beitrag zur älteren Geschichte des Apothekenwesens der Stadt Wittenberg, in: Georg Edmund Dann (Hrsg.), Festschrift zum 75. Geburtstage von Ernst Urban am 19. April 1949, Stuttgart: Verlag Dr. Roland Schmiedel 1949, S. 140
[5] Wolfgang Böhmer und Andreas Wurda (Hrsg.), Das heilkundige Wittenberg. Ebenda, S. 88 (Böhmer)
[6] Wolfgang Schneider, Beitrag zur älteren Geschichte des Apothekenwesens der Stadt Wittenberg, ebenda, S. 130 Anm. 13
[7] Wolfgang Böhmer und Andreas Wurda (Hrsg.), Das heilkundige Wittenberg. Ebenda, S. 68
[8] Wolfgang Böhmer und Andreas Wurda (Hrsg.), Das heilkundige Wittenberg. Ebenda, S. 81f. (Böhmer)
[9] Wolfgang Böhmer und Andreas Wurda (Hrsg.), Das heilkundige Wittenberg. Ebenda, S. 89 (Böhmer)
[10] Wolfgang Schneider, Beitrag zur älteren Geschichte des Apothekenwesens der Stadt Wittenberg, Ebenda, S. 140
[11] Wolfgang Schneider, Beitrag zur älteren Geschichte des Apothekenwesens der Stadt Wittenberg. Ebenda, S. 140
[12] Franz Jäger und Jens Pickenhahn, Die Inschriften der Stadt Wittenberg. Die deutschen Inschriften, Band 107, Wiesbaden 2019, S. 761 Nr. 472+ Georg Daniel Koschwitz
[13] Heinz Zimmermann, Arzneimittelwerbung in Deutschland vom Beginn des 16. bis Ende des 18. Jahrhunderts. Dargestellt an Hand von Archivalien der Freien Reichs-, Handels- und Messestadt Frankfurt am Main. Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie II, Würzburg 1974, S. 46f.
Bild zur Meldung: Bürgersfrau in zeitgenössischer Mode, Holzschnitt um 1620