Die andere Seite der Geschichte - Frauen in Sachsen und Anhalt 1 Müntzers Frauen
Thomas Müntzer und die Frauen von Halle
Von Elke Strauchenbruch
Das Abendmahl in beiderlei Gestalt wurde zum Jahreswechsel 1522/1523 in Halle erstmals vom Kaplan der St. Georgen-Kirche, von Thomas Müntzer, gereicht. Die Kirche war seit 1231 Klosterkirche des 1180 vor den Toren der Salzstadt Halle in Glaucha gegründeten Zisterzienserinnenklosters, das sich seit 1231 als Kloster Marienkammer bezeichnete.
Das Salz hat die Stadt Halle reich gemacht und seit dem hohen Mittelalter Begehrlichkeiten weltlicher Fürsten und v. a. der Erzbischöfe von Magdeburg geweckt. Die Gründung des Klosters durch Erzbischof Wichmann stärkte dessen Positionen in der Stadt. Das Kloster blühte auf, erhielt viele Stiftungen und damit auch großen Grundbesitz; Ackerland und Wald. Es wurde reich. Schon am 9. November 1220 konnten die Nonnen vom Ritter Otto von Eilenburg eine Wassermühle an der Elster erwerben. Dieser Kauf zeugt vom hohen technischen und wirtschaftlichen Standard des Georgenklosters.
Adelige der Umgebung und v.a. reiche Bürger entdeckten es als Bildungsanstalt für ihre Töchter, denn gut gebildete Mädchen waren als Bräute begehrt. Verheiratete Frauen gingen aus der Verfügungsgewalt und Vormundschaft ihrer Väter in die ihrer Ehemänner, deren Wünschen sie in jeder Weise nachzukommen hatten. Immerhin wurde Frauenraub seit Einführung des Christentums bekämpft. Frauen hatten nun das Recht, Ja-Sagen zu müssen, also auch Nein-Sagen zu dürfen. Da sie oftmals im Alter von 16 bis 18 Jahren verheiratet wurden, kann man sich die inneren Kämpfe der Teenager ausmalen. Oftmals kam schon nach einem Jahr das erste Kind auf die Welt. Dabei waren sowohl die Kinder- als auch die Müttersterblichkeit sehr hoch. Zu ihrer Ausstattung erhielten Ehefrauen ein Heiratsgut und hatten ein eigenes Erbgut, die Gerade. Die Gerade umfasste die Kleidung, das Bett, Textilien, Bücher, die Arbeitsmaterialien der Frauen, wie Wolle bis hin zu bestimmten Haustieren und sollte verwitweten Frauen den Unterhalt sichern. Ehefrauen mussten in den Gärten und Weinbergen, auf den Feldern und in den Ställen der Familie für die Erzeugung der meisten benötigten Lebensmittel sorgen. Sie standen den Haushalten nach den Wünschen ihrer Ehemänner vor, mussten in diesen gesellschaftlichen Kreisen oftmals vorhandenes Gesinde anleiten, in ihren Schwarzen Küchen für ihre Familien, zu denen alle im Haus lebenden Personen gehörten, kochen und backen. Zogen Seuchen, Kriege und Hungersnöte ein kümmerten sie sich um das körperliche und seelische Wohl ihrer Angehörigen. Adlige und wohlhabende bürgerliche Frauen sorgten sich um die Erziehung ihrer Kinder, vermittelten Glaubensgrundsätze und Musik, lasen Bücher und halfen bei Krankheiten und Geburten.
Einige der in Klosterschulen gebildeten Töchter wurden von Anfang an auf ein Leben als Nonne im Kloster vorbereitet. Sie blieben damit seit etwa ihrem 5. Geburtstag ihr Leben lang in der gleichen, von der Welt und ihren Sorgen abgeschiedenen, Umgebung. Sie lebten in Demut, folgten den Wünschen der Äbtissinnen und genossen dafür die Versorgung mit allem Lebensnotwendigen, konnten sich ihren religiösen Übungen widmen, lesen, singen, sich Handarbeiten wie Sticken, Stricken oder Weben widmen und dienten auf diese Weise ihrem ans Kreuz geschlagenen Bräutigam, dem ihr ganzes Fühlen galt. Eingeschlossen in der Klausur des Klosters und damit weit entfernt vom weltlichen Leben um sie herum, beteten sie um das Seelenheil ihrer Familienmitglieder und rangen seelisch um eine besonders enge Verbindung mit ihrem ans Kreuz geschlagenen Bräutigam.
Äbtissinnen und Nonnen wurden nicht in das Amt des Predigers geweiht. In jedem Frauenkloster und Frauenstift lebten also auch Männer; Männer die den Gottesdienst für die Frauen versahen während sich die Nonnen oder Stiftsdamen auf einer gesonderten Empore in ihrer Kirche aufhielten, Männer, die ihnen im Beisein mindestens einer Schwester die Beichte abnahmen, Männer, die die Landwirtschaft und andere Wirtschaftszweige der Klöster betrieben, Männer, die das Kloster nach außen als Schutzvogt vertraten und es notfalls auch militärisch schützen sollten.
Gottesdienste in den Klosterkirchen fanden meist an Sonn- und natürlich an den vielen Feiertagen statt. Die geistlichen Frauen hielten miteinander zusätzlich tägliche Andachten und Übungen ab, lasen sich vor, sangen und arbeiteten gemeinsam innerhalb der Klausur. Gerade die Nonnenklöster und Damenstifte verfügten über relativ große Bibliotheken.
Der heute noch berühmteste Mann, der dem Kloster Marienkammer in Glaucha diente, ist wohl Thomas Müntzer. Müntzer hatte am 22. Februar 1522 sein Altarlehen am Marienaltar der Michaelskirche des reichen Braunschweig aufgeben. Als Lehensinhaber musste der Priester in Braunschweig täglich um 6 Uhr eine Messe lesen und einmal wöchentlich eine Messe von St. Philipp und St. Jakob, sowie wöchentlich eine Messe zugunsten des Stifters. An Feiertagen hatte der Priester bei Vesper und Chormesse am Chordienst und an Kirchhofprozessionen teilzunehmen. Müntzer hatte dieses Lehen seit 1514 inne und hatte es bis 1517 vorschriftsmäßig ausgeübt. Dann setzte seine Wanderschaft ein, denn jetzt 28jährige hatte einen sehr klugen aber auch unruhigen Geist und war besonders intensiv auf der Suche nach einem gottgefälligen Leben.
Sein Weg führte ihn immer wieder in die Dienste von Frauenklöstern und Frauenstiften, so auch vom 25. Juli 1515 bis zum 28. August 1516 in der noch heute sehr beeindruckenden Stiftskirche des zum Stift Gernrode gehörenden Stiftes in Frose. In Frose kümmerte sich Müntzer um die seelsorgerischen Bedürfnisse der dort lebenden zwölf Stiftsdamen und gründete eine Privatschule für begüterte Bürgersöhne. Hier in Frose hat er der Gernröder Äbtissin Elisabeth von Weida unterstanden und dort den beginnenden Streit der Äbtissin mit dem Magdeburger Erzbischof Albrecht von Brandenburg um den Ascherslebener See miterlebt. Das von diesem Streit besonders betroffene Damenstift in Frose war schon zuvor als Filiale des großen Stiftes in Gernrode relativ schlecht ausgestattet gewesen, so dass seine Insassinnen schon lange relativ ärmlich lebten. 1521, also fünf Jahre nach dem Weggang Müntzers, soll die Elisabeth von Weida als erster Landesfürst die Reformation im Bereich ihres Stiftes Gernrode und Frose eingeführt haben. Ihr ist es gelungen, ihren Herrschaftsbereich ausgerechnet in diesen Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs wirtschaftlich und geistig voranzubringen.
Zwischen 1517 und 1519 hatte sich Müntzer auf der Suche nach Nähe zu dem kometenhaft aufsteigenden Luther und auf der Suche nach einer einträglichen Stelle mehrmals in Wittenberg aufgehalten, dort die neue Lehre aufgesogen und an der Universität studiert. 1520 wurde er als Beichtvater des Zisterzienserinnenklosters Beuditz bei Weißenfels berufen. Von dort hatte es ihn nach kurzer Zeit in das wirtschaftlich prosperierende Zwickau weitergezogen, bis der Prediger 1521 vom Rat der Stadt, als Aufrührer verdächtigt, aus der Stadt gewiesen wurde. Er wurde nun Prediger an die Bethlehemskapelle in Prag und veröffentlichte dort im November 1521 sein Prager Manifest, in dem er eine neue Kirche forderte, um Gottes Wort zu verteidigen. In Prag hatte er erstmals die Grundzüge seiner vom Mystizismus und Endzeiterwartung durchdrungenen Theologie formuliert. Dann gab er endlich sein Altarlehen in Braunschweig auf und kam als Kaplan zu den hoch gebildeten Nonnen der Marienkammer in Glaucha.
Ein Prediger, der der neuen Lehre zuneigte, in Wittenberg die Reformatoren Luther, Melanchthon und ihre Freunde kennengelernt und in Zwickau und Prag eine eigene Lehre entwickelt hatte, wurde Kaplan der Nonnen der Marienkammer. Mystizismus und Endzeiterwartung zogen mit ihm in ihr Denken ein. Damit kam er den Nonnen entgegen. Sie wuschen alljährlich am Weihnachtsabend ein aus Holz geschnitztes Jesuskind, reinigten sein weißes Hemdchen und glätteten es sauber, bevor sie es der Puppe wieder anzogen. Hatten sie diese Arbeit nicht ordentlich genug erledigt, soll sich im Hause ein heftiges Poltern erhoben und sich erst gelegt haben, wenn sie ihre Fehler wieder gut gemacht hatten, wurde aus dem Kloster erzählt. Das sogenannte Kindelwiegen in Nonnenklöstern zeigt die besondere mystische Beziehung dieser Frauen zu Christus und vielleicht auch deren tiefe Sehnsucht nach einem eigenen Kind.
Müntzer war nicht nur für die Nonnen zuständig, sondern auch für die Kirchgemeinde. Eines der Gemeindemitglieder in Glaucha war die hier lebende Witwe Felicitas von Selmenitz. Ihr Ehemann Wolf von Selmenitz war am 8. Januar 1519 nach einer Hochzeitsfeier auf den Stufen des Goldenen Ringes in Halle von dem erzbischöflichen Marschall Moritz Knebel erstochen worden. Nach dem Halsgericht auf der Moritzburg hatte man Wolfs Leiche feierlich durch die Stadt bis nach Glaucha getragen und, sicherlich auf Felicitas` Wunsch, in ihrer geliebten Georgenkirche beigesetzt. Die Mutter verlor sechs Kinder. Nur der Sohn Georg überlebte. Nach all diesen schrecklichen Schicksalsschlägen öffnete sich die Witwe der lutherischen Lehre und nahm sie an. Vertraute und Begleiter auf diesem Weg wurden ihr ihr Schwager Bastian von Selmenitz und der Kaplan der Georgenkirche, Thomas Müntzer. Wohl durch den Kaplan erlangte sie Zugang zu den Schriften Luthers und der anderen Wittenberger.
War sie, waren Nonnen am Jahreswechsel 1522/1523 beim Gottesdienst in der Georgenkirche, als Thomas Müntzers erstmals in Halle das Abendmahl in beiderlei Gestalt austeilte? Setzen auch hier Klosterfluchten ein?
Im Januar 1523 kam es zu Unruhen gegen den Bau des Neuen Stifts, den Ablasshandel und die öffentliche Demonstration des Reliquienschatzes auf dem Halleschen Marktplatz. Kardinal Albrecht reagierte darauf mit Verhaftungen und Ausweisungen aus der Stadt.
Manchmal heißt es, Felicitas von Selmenitz habe Luthers Bibelübersetzung lesen wollen und eigens dafür lesen gelernt. Das ist unwahrscheinlich, denn Frauen, die wie sie aus alten angesehenen Adelsgeschlechtern stammten, hatten in ihrer Kindheit durch Hauslehrer oder in Kloster- bzw. Stiftsschulen lesen, schreiben, singen u.ä. gelernt. Felicitas nahm einen Briefwechsel mit Luthers auf und ging gegen dessen Willen mit ihrem Sohn nach Wittenberg. Luther zog sie dann an seinen Tisch. Die Witwe gehörte zu den wenigen Frauen, deren private Beziehungen zum hochverehrten Reformator tradiert worden sind. Dazu trug sicherlich ein Exemplar der ersten Gesamtausgabe von Luthers Bibelübersetzung bei, die 1534 von Hans Lufft im Verlag der Wittenberger Buchhändler Moritz Goltze, Bartholomäus Vogel und Christoph Schramm erschienen ist. Der ehrbaren, tugendsamen Frau Felicitas von Selmeniz, meiner lieben Gevatterinn, Martinus Luther, schrieb der Reformator auf das Titelblatt der Bibel, die heute zu den kostbarsten Schätzen der Halleschen Marienbibliothek gehört. In ihrer Lutherbibel hinterließ Felicitas Notizen, Unterstreichungen und kleine Bilder, an denen wir ablesen können, was sie besonders interessierte, in welchen Texten sie als Witwe und allein erziehende Mutter Trost fand, welche Ängste sie umtrieben, mit welchen Hoffnungen sie leben lernte. Ihre Notizen sind eine der wenigen Quellen, die das Denken und den Glauben der Frauen der Reformationszeit überliefern. – Müntzer hatte 1522 in Halle in Felicitas von Selmenitz gewiss eine sehr fromme, aufmerksame und wissenshungrige Schülerin und Zuhörerin gefunden. Auch sie war seit 1523 in Halle wegen ihres lutherischen Glaubens schweren Anfeindungen ausgesetzt, der Anlass für ihren späteren zeitweisen Weggang.
Müntzer wurde seit Januar 1523 von Kardinal Albrechts Anhängern so stark bedrängt, dass er vor Ostern 1523 aus Halle floh und eine Predigerstelle im kursächsischen Allstedt annahm. Hat Felicitas ihm die Predigerstelle empfohlen oder gar verschafft? Ihr Mann war Schlosshauptmann in Allstedt gewesen und sie hatten dort ihre von Kurfürst Friedrich dem Weisen finanzierte, prächtige Hochzeit gefeiert. Sicherlich hatte sie auch noch nach seinem Tod Beziehungen nach Allstedt und konnte dort ihren Prediger unterbringen.
In Allstedt heiratete Müntzer sofort die aus dem Kloster Oberwiederstedt bei Hettstedt entflohene Nonne Ottilie von Gersen; eine Frau, die freiwillig im Bekenntnis zur lutherischen Lehre ein Leben an der Seite eines äußerst streitbaren Mannes antrat und ihm sogar kämpferisch zur Seite gestanden haben soll. In ihrem kurzen Eheleben brachte Ottilie zudem zwei Kinder zur Welt. Thomas Müntzers Ehefrau Ottilie gehörte zu den ersten Pfarrfrauen, die sich aus allen Konventionen und einem gesicherten Leben gelöst haben und sogar ihr Leben für ihren Glauben einsetzten.
Bild zur Meldung: Die spinnende Maria als schwangere Gottesmutter mit ihrem Ehemann Joseph, Oberrheinisch